Stille Wasser sind tief und Frauen sollte man besser nicht unterschätzen.  Vor allem dann nicht, wenn sie mit einem gerissenen Krieger zusammenarbeiten.

Wer hätte geahnt, dass eine Heilerin und ein Schwertkämpfer ein so furchteinflößendes Duo abgeben?

Status: Abgeschlossen

 

Die Sonne schien hell durch das geöffnete Fenster und hinterließ glühende Lichtpunkte an den Wänden. Auf der Fensterbank saß ein Vogel und zwitscherte ein fröhliches Lied. Sein Gefieder tanzte in der sanften Morgenbrise. Ein Hauch von Lavendel und Rosmarin lag in der Luft.

Ruwenias Hände glitten behutsam über die angespannten Muskeln und brachten sie dazu, sich zu entspannen und zu regenerieren.

„Wie fühlt es sich an?“, erkundigte sie sich besorgt. Ihre Stimme klang ruhig und unaufdringlich, nicht gewillt, die fast meditative Ruhe zu stören. „Habt Ihr Schmerzen?“

Ein mildes Lächeln erhellte Serons Gesicht. „Ganz im Gegenteil. Ich empfinde es als ausgesprochen angenehm.“

Er kniete mit nacktem Oberkörper vor ihr auf zwei überaus weichen und sehr flauschigen Kissen. Seron wusste noch immer nicht, woher diese kamen. Soweit er wusste, hatten sie keine weichen und flauschigen Kissen. Schließlich waren sie die königliche Garde. Hartgesottene Krieger. Und die hatten es eben nicht so mit flauschig und weich!

Ruwenia jedoch schien sich dieser grundlegenden Tatsache nicht bewusst zu sein, denn sie war nicht nur mit einem, sondern gleich mit drei dieser flauschigen Kissen aufgetaucht.

Ein Einziges wäre seiner Meinung nach mehr als ausreichend gewesen. Doch offenbar nicht für Ruwenia. Sie hatte mit überraschender Strenge darauf bestanden, dass er es während dieser Prozedur bequem haben sollte. Es hatte ihn fast eine Viertelstunde gekostet – und den wiederholten Einsatz seiner außerordentlichen Überredungskünste -, um sie auf zwei herunterzuhandeln. Aber er hatte es geschafft. Schließlich war er ein sehr begabter Redner und Taktiker.

Über die geheimnisvolle Herkunft dieser Kissen konnte er später nachdenken. Im Moment gab es für ihn ein dringenderes Problem zu lösen. Und zwar musste er Ruwenia davon überzeugen, dass es ihm gut ging und sein Heilungsprozess gut vorankam. Eine herausfordernde Aufgabe, da sie dazu neigte, sich bereits über die einfachsten Dinge Sorgen zu machen.

Eine Eigenschaft, die sie mit Alwen, dem Anführer der Garde teilte. Und eine Eigenschaft, die vor allem sein Freund Kaldor als ebenso lästig wie amüsant empfand. Ja, er beharrte sogar darauf, dass Ruwenia das uneheliche Kind von Alwen und Thorwen war. Seron erinnerte sich noch sehr gut an Kaldors absurde Begründung.

‚Ruwenia ist genauso gut im Nörgeln wie Alwen. Und hast du gesehen, wie ernst sie ihren Besen schwingt? Sie sieht genauso aus wie Thorwen, wenn er trainiert. Nur ein Kind von ihm kann beim Fegen so ernst aussehen.‘

Ungeachtet der Unmöglichkeit von Kaldors abwegiger Theorie hatten die anderen Mitglieder der Garde sofort Gefallen an ihr gefunden – Sie grinsten und flüsterten, wann immer man die drei zusammen sah.

Im Moment jedoch schien Ruwenia beschwichtigt zu sein, denn sie erwiderte sein Lächeln mit einem eigenen, strahlenden. In ihren ausdrucksstarken braunen Augen schimmerte Erleichterung.

„Das freut mich, zu hören. Wir sind ohnehin fast fertig.“

Sie drehte sich um und ergriff eine schlichte, hölzerne Schale, die bis zum Rand mit einer weißen, cremeartigen Substanz gefüllt war und neben der Tür auf dem Boden stand. In einigem Abstand, damit sie sie nicht aus Versehen umstieß.

„Ich werde die Paste jetzt auftragen“, informierte sie ihn ruhig, während sie eine Handvoll entnahm und sie leicht zwischen ihren Handflächen erwärmte.

Einige schnelle und geübte Handgriffe später war Serons Schulter mit der weißen Creme bedeckt und gut bandagiert.

„Wir sind fertig. Wie fühlt Ihr Euch?“

Seron ballte seine Faust und entspannte sie wieder, dann versuchte er, seine Schulter zu bewegen.

„Sie fühlt sich etwas leichter an.“

Er erhob sich aus seiner knienden Position. „Ich danke Euch, Ruwenia. Ich bitte um Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten.“

„Das ist kein Problem“, antwortete Ruwenia sofort. „Ich helfe immer gerne -“
Sie drehte sich zu Seron um und hielt plötzlich inne, wie gebannt von dem Bild, das sich ihr bot.

Seron stand vor dem Fenster und lehnte sich lässig gegen die Fensterbank. Im Licht der hellen Sonnenstrahlen schimmerte sein nackter Oberkörper hell, und sie konnte jeden einzelnen Muskel sehen.

Verwundert über das plötzliche Verstummen der jungen Frau, hob Seron fragend eine Augenbraue und lehnte sich leicht in ihre Richtung. „Gibt es ein Problem?“, erkundigte er sich freundlich, wobei ein schwacher Hauch von etwas in seinem Ton mitschwang. War es Ahnung?

Ein zartes Rosa legte sich über Ruwenias Wangen. „Ihr … Ihr könnt Euch wieder ankleiden. Sie versuchte, ihre Stimme so normal und beherrscht wie möglich zu halten, doch es misslang ihr. Ruwenia fluchte innerlich, denn das ungewollte Stottern machte alle Bemühungen zunichte, eine ruhige Fassade aufrechtzuerhalten.

Serons braune Augen funkelten amüsiert und er stieß sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung von der Fensterbank ab. Er näherte sich Ruwenia, lautlos und mit leisen Schritten, wie ein Tiger, der sich an seine Beute pirscht.

„Sieh an, Sie an… Bereite ich Euch etwa Unbehagen?“

Ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken, als Seron seine Hände auf den Tisch legte und sich ganz nah an ihr Gesicht lehnte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, vollkommen fasziniert von seiner sanften und doch kraftvollen Ausstrahlung.

Er war Selbstvertrauen.

Er war Stärke.

Vor allem aber war er Gefahr. Doch sie war anders als die Gefahr, die die anderen Krieger ausstrahlten. Sie war weder offensichtlich noch beherrschend. Sie lag im Verborgenen. Unsichtbar und scharf, wie eine vergiftete Klinge. Allzeit bereit, immer eine unterschwellige Bedrohung darstellend. Eine Bedrohung, die ein weitaus schlimmeres Schicksal als den Tod verhieß.

Doch Ruwenia hatte keine Angst – nicht mehr. In Serons Gegenwart fühlte sie sich sicher – und in diesem Moment auch ziemlich nervös.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen – irgendetwas, doch was immer es war, sie kam nicht dazu.

Denn der lauwarme Wind trug eine Stimme durch das offene Fenster. Eine unangenehm vertraute Stimme. Eine unangenehm vertraute, sich beschwerende Stimme.

Doren.

Und er redete über Seron.

Hinter seinem Rücken.

Schon wieder.

Und damit war der Moment, den sie hatten, vorbei. Sie waren nun beide mehr auf Dorens leise Worte konzentriert als auf den jeweils anderen.

„…Ich verstehe wirklich nicht, weshalb sie ihn hierbehalten. Ich meine, wozu ist ein Krieger gut, der nicht einmal ein Schwert führen kann, geschweige denn in der Lage ist, es zu halten?“
Serons Augen wurden schmal, und der Hauch von Gefahr, der ihn umgab, wurde beinahe greifbar. Seine ruhigen, kaffeebraunen Augen verdunkelten sich zu einem tiefen, alles verzehrenden Strudel aus Umbra.

Die Atmosphäre wurde tödlich. Ruwenia warf einen besorgten Blick auf den Mann vor ihr. Er stand stramm wie eine Bogensehne. Seine Augen waren kälter als Eis und das sonst so ruhige Lächeln auf seinen Lippen wirkte seltsam verzerrt.

Eine Wolke schob sich an der Sonne vorbei und für den Bruchteil einer Sekunde veränderte sich der Lichteinfall. Es war nur ein flüchtiger Moment, ein Wimpernschlag, aber Ruwenia hätte schwören können, dass Serons Schatten für einen Moment dunkle, dämonische Schwingen gebar.

Ruwenia verspürte einen plötzlichen Anflug von Wut. Mit welchem Recht stellte dieser Mann Serons Position infrage? Er war noch nicht einmal ein halbes Jahr hier, und schon benahm er sich, als gehöre ihm alles!

„Seron ”, murmelte sie leise, aber eindringlich, und legte sanft eine Hand auf seinen unverletzten Arm. „Hört nicht auf ihn. Ihr seid kein Invalide! Bitte versucht, Euch nicht davon beirren zu lassen.“

Seron wandte seinen Kopf in Ruwenias Richtung, und sein Blick wurde ein wenig weicher. Seine Haltung, jedoch, blieb so angespannt und starr wie zuvor.

„… Das liegt wahrscheinlich an Kommandant Alwen. Er bevorzugt gerne seine Freunde. Und er neigt dazu, nutzlose Leute um sich zu scharen. Wie dieses Mädchen. Ruwenia, richtig? Sie geht hier ein und aus, als ob sie dazugehört, und darf sogar mit dem Hauptmann speisen. Es muss schön sein, so behandelt zu werden, nur weil man herumschläft.“

Ruwenia stockte. Ihre Gefühle tobten wie ein Wirbelwind durch sie hindurch.

Schock.

Empörung.

Wut.

Der Dämon in ihr hob seinen Kopf – und brüllte. Ruwenias goldenes Feuer traf auf bernsteinfarbenes Eis und entfachte ein unaufhaltsames Inferno.

„Vergesst, was ich gesagt habe“, flüsterte Ruwenia leise. Sie bebte vor unterdrücktem Zorn. „Seron, ich habe eine Idee. Würdet Ihr mich anhören?“

Eine interessiert hochgezogene Augenbraue war die einzige Aufforderung, die sie benötigte.

 

Die Stille war trügerisch. Es waren fünfzehn Tage vergangen, seit Ruwenia und Seron zufällig Dorens Bemerkungen mitbekommen hatten, und nichts war passiert. Überhaupt nichts. Ein jeder ging seinen täglichen Geschäften nach, und das Leben ging weiter seinen Gang.

Ruwenia war heute schon früh mit ihren Arbeiten fertig geworden, und da es ein so schöner sonniger Tag war, hatte sie sich für ein Mittagsschläfchen unter einem schattigen Baum in einer etwas ruhigeren Ecke entschieden.

Ihr Traum war sehr schön. Sehr schön und sehr schmackhaft. Doch gerade als sie in den gewaltigen, hausgroßen und schwammig aussehenden Zitronenkuchen beißen wollte, riss sie die Realität in Form eines recht unerfreulichen Aufruhrs aus dem Schlaf.

Etwas verärgert darüber, dass sie so unsanft von ihrer imaginären Mahlzeit weggerissen wurde, immerhin hatte sie jetzt Hunger, gähnte Ruwenia schläfrig, streckte ihre müden Glieder und blinzelte neugierig Richtung der lauten Stimmen. Da sie von ihrer Position aus nichts erkennen konnte, erhob sie sich und ging gemächlich zurück zum Haupthof.

Ihre Miene verdüsterte sich leicht, als sie den Mann im Zentrum einer Menschenmenge erkannte.
Doren.

Natürlich war er es.

Seinen übertriebenen Gesten nach zu urteilen, war er offenbar gerade dabei, eine Geschichte zu erzählen. Sie handelte zweifellos von ihm selbst und seinen überragenden Schwertkünsten. Das war das einzige Thema, bei dem er so in Fahrt geriet.

„Warum überrascht mich das nicht? “, murmelte Ruwenia leise und mit trockener Stimme. Seit seinen ungerechtfertigten Beleidigungen einige Tage zuvor hegte sie einen ziemlich tiefen Groll gegen ihn.

„Möglicherweise habt Ihr Euch bereits an seine großspurige Art gewöhnt? “, schlug eine ruhige Stimme leichthin vor.

„Seron!”, rief Ruwenia aus und hob überrascht ihren Kopf, um den Mann anzusehen.
„Ich habe Euch gar nicht kommen hören.” Sie war noch nicht richtig wach und hatte sich zu sehr auf Doren konzentriert, um auf ihre Umgebung zu achten.

Ein mildes Lächeln huschte über Serons Gesicht, als er lässig neben ihr zum Stehen kam. „Seid nicht betrübt. In einem derartigen Tumult geht das Geräusch gedämpfter Schritte leicht unter.”
Er verengte seine Augen leicht in Dorens Richtung. Er war offensichtlich äußerst ungehalten – und da war er nicht der Einzige.

Ruwenias Blick fiel auf die übrigen Krieger. Auch sie hatten ihre jeweiligen Pflichten unterbrochen, um der Ursache des Lärms auf den Grund zu gehen. Keiner von ihnen machte einen besonders glücklichen Eindruck.

Haldor und Nordir standen nicht weit von ihr. Sie waren eben erst von einer Patrouille zurückgekehrt und hatten sich auf Erholung gefreut. Doch anstelle der ruhigen, angenehmen Betriebsamkeit des Hauptquartiers begrüßte sie Doren mit seinem Gehabe.

Nordir hatte seine Arme verschränkt und starrte finster in Dorens Richtung. Haldors Stirn lag in tiefen Falten.

Ihr Blick wanderte zu Thorwen und Kaldor. Sie standen Seite an Seite neben einem Pfosten, ganz in der Nähe des Trainingsgeländes.

Thorwens Gesicht war so undurchdringlich und stoisch wie immer, doch Ruwenia konnte das eisige Funkeln in seinen Augen sehen. Es wunderte sie nicht. Vermutlich schäumte er insgeheim vor Wut. Immerhin war er gezwungen gewesen, sein Training mit Kaldor zu unterbrechen. Es war unmöglich, dass ihm das gleichgültig war. Nicht Thorwen. Sich zwischen ihn und sein Training zu stellen, war geradezu selbstmörderisch.

Und was Kaldor betraf…

Auch er wirkte nicht gerade glücklich. Im Gegenteil. Seinem mörderisch finsteren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es offensichtlich, dass er Doren am liebsten töten würde.

Es hätte Ruwenia nicht überrascht, wenn Kaldor plötzlich sein Schwert gezogen und ihn auf der Stelle niedergestochen hätte.

Doren jedoch schien von den Todesblicken nichts zu bemerken und plapperte einfach fröhlich weiter.

„Es ist beinahe beeindruckend, nicht wahr?”, kommentierte Seron leichthin, und in seiner Stimme lag ein Hauch von düsterer Belustigung. „Ein solch enormes Maß an Mordlust völlig außer Acht lassen zu können…”, er hielt inne, und seine Lippen verzogen sich zu einem leicht spöttischen Lächeln. „Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich dabei um Mut handelt – oder um eklatante Ignoranz.”

„Wahrscheinlich Letzteres”, erwiderte Ruwenia mit finsterer Miene, ohne überhaupt einen Gedanken an die Frage zu verschwenden. Auch wenn Doren für gewöhnlich ein berechnendes und intelligentes Naturell besaß, so war er doch auch äußerst narzisstisch und neigte dazu, jegliche Vernunft zu verlieren, wenn er eine Chance sah, sich zu profilieren. Das war seine größte Schwäche.

Seron lachte leicht und bedachte Ruwenia mit einem sanften Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Szene vor ihm richtete.

Sein Blick fixierte sich auf Doren, so wie der eines Tigers auf seine Beute. „Vielleicht”, bemerkte er, „ist dies der perfekte Zeitpunkt, um zu handeln.”

In seinen Worten lag ein grausames, unausgesprochenes Versprechen.

„Das ist er”, stimmte der Dämon in Ruwenia zu.

Sie setzte sich in Bewegung und eine seltsame Ruhe überkam sie.

~*~

Ihr Lächeln war verstecktes Gift. Süß, aber tödlich.

Doren war überheblich und sah in dem zarten Mädchen keine Bedrohung.

So erkannte er auch nicht die Falle, in die er direkt hineinlief, als sie ihm schmeichelte und ihn bat, seine Fähigkeiten zu demonstrieren.

Er willigte ohne Weiteres ein und beauftragte kurzerhand einen der Soldaten, ihn zu attackieren.
„Seht gut zu, Ruwenia, ich will Euch zeigen, wozu ein echter Schwertkämpfer fähig ist “, erklärte er großspurig und nahm eine Kampfstellung ein, wurde jedoch von einer ruhigen, gleichmütigen Stimme unterbrochen.

„Ich denke, Eure Vorführung wäre wesentlich eindrucksvoller, wenn Euer Gegner etwas herausfordernder wäre als ein Anwärter, Doren.”

Seron trat ins Licht und warf die Schatten von sich wie einen dunklen, unheilvollen Mantel. Gemächlich schritt er auf die angehenden Kontrahenten zu. Ein kaum erkennbarer Hauch von Spott lag in seinen Augen, als er die Szene betrachtete, die sich vor ihm abspielte.

„Seron ”, Doren verkrampfte sich leicht, und seine Lippen verzogen sich zu etwas, das vage an ein Lächeln erinnerte. Es sah unwirklich aus, wie ein Gemälde, dem die Schattierungen fehlten; es war da, aber es fehlte an Tiefe. Seltsamerweise passte es sehr gut zu ihm.

„Ihr wollt also mit mir kämpfen? “ Doren warf einen abfälligen Blick auf Serons bandagierten Arm. „Ich denke nicht, dass das besonders fair ist, wo Ihr so stark beeinträchtigt seid.” Sein ganzer Körper strahlte Herablassung aus.

Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte ein finsteres Versprechen in Serons Augen auf, ehe es wieder verblasste und sich hinter Bernstein verbarg. „Ja, ich bin momentan tatsächlich etwas eingeschränkt. Daher wird jemand anderes für mich einspringen müssen.”

Er wandte sich an Ruwenia. „Was denkt Ihr, Ruwenia? Wer wäre ein guter Herausforderer für Doren?”

„Nun…”, überlegte Ruwenia in aller Ruhe. „Ich zweifle nicht daran, dass jeder der Hauptmänner gut geeignet wäre…” Sie schaute sich auf dem Hof um, scheinbar tief in Gedanken versunken, bevor sich ihre Miene plötzlich erhellte.

„Ah, ich weiß… Kommandant Alwen!”, erklärte sie schließlich. „Er hat sich nun schon seit Tagen in seinem Zimmer verschanzt. Das wäre doch eine gute Gelegenheit für ihn, sich ein wenig zu betätigen. Möglicherweise hilft ihm das, sich zu entspannen. In letzter Zeit war er recht reizbar.”

„Eine ausgezeichnete Idee”, stimmte Seron vergnügt zu. „Würdet Ihr ihn fragen? Ich bin mir sicher, dass er uns sehr gerne entgegenkommen wird.”

Doren wich jede Farbe aus dem Gesicht.

~*~

„Entschuldigt bitte die Störung, Kommandant”, erklang Ruwenias sanfte Stimme durch die Tür. „Hättet Ihr vielleicht einen Augenblick Zeit?”

Der Kommandant sah von dem Papier auf, in das er gerade noch vertieft gewesen war, und legte die Stirn in Falten. „Was ist los, Ruwenia? Ist etwas passiert?”

„Nein”, antwortete das Mädchen. „Aber Doren hat versprochen, mir seine Schwertkünste zu demonstrieren, und es fehlt ihm ein Gegner. Wir dachten, Ihr möchtet vielleicht einspringen.”

Alwens Augenbrauen wanderten in die Höhe. Weshalb sollte Doren Ruwenia versprechen, seine Fähigkeiten zu demonstrieren? Und wer war ‚wir‘?

„Ich komme“, stimmte er bereitwillig zu, unterzeichnete den Bericht mit seinem Namen und setzte den Pinsel ab.

Ruwenia lächelte die geschlossene Tür an.

~*~

Auf Kaldors Gesicht konnte man die unverhohlene Freude erkennen, als er sah, wie Doren erbleichte und die Schärfe in Thorwens stählernen Blick wich einer verhaltenen Zufriedenheit.

Ruwenia hörte, wie Nordir aufgeregt „Oh… interessant” flüsterte, und sah, wie Haldor neben ihm zustimmend nickte.

Ruwenia warf einen Blick auf Seron und sah, wie dunkle Belustigung über seine Züge huschte, ehe sich ein Ausdruck von mildem Interesse auf sein Gesicht legte.

Alwen grinste seinen Gegner an. „Sollen wir loslegen?” Er zog sein Schwert aus der Scheide und nahm eine lockere Haltung ein.

Doren schluckte nervös.

Sie verstand sofort. „Ihr werdet das großartig machen, Doren!”

Die Hauptmänner bedachten sie mit seltsamen Blicken. Ruwenia konnte es ihnen nicht verdenken. Es war wahrscheinlich befremdlich für sie, dass sie Doren unterstützte.

Doren zog sein Schwert.

Der Kampf begann.

Alwen bewegte sich.

Es war ein brutales Aufeinanderprallen von geschliffenem Stahl. Ein Tanz zweier Gestalten inmitten der Menge der Schaulustigen.

Ein tödlicher Tanz.

Ruwenia konnte sehen, wie Kaldor vor Aufregung zitterte, als Alwens Klinge die Luft neben Dorens Kopf zerschnitt. Thorwens Blick war starr auf den Kampf gerichtet, wahrscheinlich analysierte er ihre Bewegungen.

Seron strahlte eine gewisse Zufriedenheit aus. Ruwenia verstand, woher sie kam. Es war sehr befriedigend, zu sehen, wie der großspurige Mann sein Bestes gab, um mit Alwen mitzuhalten.

Doren war kein schlechter Kämpfer, aber dem Kommandanten war er nicht gewachsen – und das zeigte sich deutlich, als Alwen ihm mit der nächsten Bewegung das Schwert aus der Hand schlug.

Alwen grinste Doren an und schien es zu genießen, dem Mann seine Klinge an den Hals zu halten. Er ließ sich jedenfalls Zeit damit, sein Schwert zu senken. „Unser kleiner Kampf hat mir Spaß gemacht, Doren. Wir sollten das bei Gelegenheit wiederholen.”

„Ich…”, stammelte Doren.

„Es war eine sehr aufschlussreiche Vorführung”, mischte sich Seron mit einem trügerisch freundlichen Lächeln ein. „Findet Ihr nicht auch, Ruwenia?”

Ruwenia nickte zustimmend. „Das war es. Vielen Dank, Doren.” Mit einem fröhlichen Lächeln verpasste sie ihm den Todesstoß. „Mir war nicht bewusst, dass Eure Fähigkeiten so weitreichend sind, Doren! Das erinnert mich an einen Übungskampf zwischen dem Kommandanten und Seron. Allerdings war ihr Duell etwas länger, und Seron wurde nicht entwaffnet.”

Doren errötete vor Verlegenheit und Ruwenia konnte hören, wie Kaldor, Nordir und Haldor bei ihren Worten leicht kicherten.

Sie sah, wie Thorwen sie mit berechnender Neugierde musterte.

Alwens Blick auf sie war ebenso intensiv, enthielt aber auch überraschte Belustigung. „Seron ist ein geschickter Kämpfer”, stimmte er leichthin zu und wandte sich von seinem besiegten Gegner ab.

„Du preist mich zu sehr”, erwiderte Seron und wandte sich ebenfalls von Doren ab.

Alwen schnaubte. „Den Teufel tue ich“, schoss er zurück.

„Ich stimme dem Kommandanten zu“, schaltete sich Thorwen ein, als er und die anderen neben sie traten.

Ruwenia bemerkte beiläufig, dass sie alle ziemlich gut gelaunt zu sein schienen.

Seron lächelte leise, und ihn umgab eine subtile Aura der Zufriedenheit. Alwen sah Seron eindringlich an. „Ich nehme an, dass Du das geplant hast?”

„Es war geplant”, stimmte Seron zu und klang ziemlich amüsiert als er sich gegen die Hauswand lehnte. „Aber nicht von mir allein. Tatsächlich war es Ruwenia, die die Idee dazu hatte. Es war ein gemeinsames… Projekt.” Er gestikulierte zu Ruwenia, die höchst zufrieden neben ihm stand.

Thorwen warf Ruwenia einen scharfen Blick zu, und Alwens Augenbrauen schossen in die Höhe. „Ruwenia?!”, fragte er ungläubig.

Haldor blieb der Mund offenstehen.

„Ihr macht wohl Witze!” Nordirs Kopf ruckte herum, um sie anzustarren, und Kaldor ließ den Kuchen fallen, an dem er eben noch herumgeknabbert hatte.

„Sie hat einen überraschend boshaften Verstand.” Seron legte ihr eine Hand auf die Schulter und Ruwenia lehnte sich unwillkürlich in seine Berührung. 

„Ihr seht viel entspannter aus, Alwen“, kommentierte sie, „Das freut mich.”

Alwen verschränkte die Arme und warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Ist das so?”

Ruwenia nickte nachdenklich. „Ihr solltet öfter auf diese Weise trainieren … Ich frage mich, ob es noch jemanden gibt, den Ihr nicht mögt?”

Serons Augen funkelten. „Ich glaube, meine Liebe, ich könnte da ein paar Namen nennen. Vielleicht sollten wir das bei einem Tee besprechen?” Er bot ihr seinen Arm an.

Die Männer wichen nervös zurück, als die sonst so unschuldige Ruwenia Serons übermäßig freundliches Lächeln erwiderte und ihre Hand auf seinen Arm legte. „Eine ausgezeichnete Idee.“

 

 
 

Von Marie